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Westdeutsche Zeitung, 23. Oktober 2021

Vermächtnis von Else Lasker-Schüler im Exil-Hotspot

Große Wuppertaler Delegation beim 23. Forum in Sanary-sur-Mer

Eindrücke vom ELS-Forum in sanary-sur-Mer: Von oben links im Uhrzeigersinn: das Théatre Galli, Hajo Jahn, Heiner Bontrup, Szene aus dem Stück von Bontrup. Fotocollage: Anna Schwartz
Eindrücke vom ELS-Forum in sanary-sur-Mer: Von oben links im Uhrzeigersinn: das Théatre Galli, Hajo Jahn, Heiner Bontrup, Szene aus dem Stück von Bontrup. Fotocollage: Anna Schwartz

von Monika Werner-Staude

 

Sie folgen den Spuren der Exilanten, versuchen die Orte, an denen diese während der Nazidiktatur Zuflucht suchten, miteinander zu verknüpfen. Sie, das sind die Mitglieder der Else Lasker-Schüler (ELS)-Gesellschaft, die in Wuppertal beheimatet ist. Die gebürtige Elberfelder Dichterin und Malerin Lasker-Schüler (1869-1945) musste im dritten Reich fliehen, starb einsam im Jerusalemer Exil. Nun trafen sich mehrere hundert Gäste aus Deutschland, darunter sehr viele aus Wuppertal und seiner Umgebung, in Sanary-sur-Mer zum 23. Else Lasker-Schüler Forum mit dem Titel das „Das flüchtige Paradies“.

 

Die französische Gemeinde an der Côte d’Azur war noch 1933 ein Hotspot deutscher Künstler, bis sich das Vichy-Regime mit den Herrschenden des Dritten Reiches einigte und die Flucht von neuem begann, diesmal meist über die Pyrenäen und Portugal in die USA. Das Forum wurde bewusst zweisprachig aufgezogen, die Veranstaltungen im Théatre Galli waren gut besucht. Zu den etwa 400 deutschen Gästen kamen im Schnitt etwa einhundert französische hinzu. Eine Verstetigung des Kulturaustauschs zwischen Wuppertal und Sanary-sur-Mer mit der Gesellschaft als Transmissionsriemen sei angedacht, erzählt Heiner Bontrup, stellvertretender Vorsitzender der ELS-Gesellschaft.

 

Zwei Jahre hat der Vorsitzende der ELS-Gesellschaft, Hajo Jahn, das achttägige Forum vorbereitet, das seinen inhaltlichen Schwerpunkt in den Künstlern hatte, die sich zunächst in Szenerie für mehr Sicherheit gebracht hatten. Darunter Persönlichkeiten wie Thomas Mann und seine Familie, Lion und Marta Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch oder Bertolt Brecht. Gestaltet wurde das Forum- Programm vor allem durch Wuppertaler Kulturschaffende: Autoren, Musiker, Schauspieler sie brachten zum Teil Werke mit, die sie eigens für das Forum geschaffen hatten.

 

Gleich zum Auftakt wurde eine szenische Hommage an Marta und Lion Feuchtwanger uraufgeführt. In „Fremd der Heimat“ schaute der Wuppertaler Theaterwissenschaftler und Germanist Gerold Theobalt in das Seelenleben des Künstlerpaares, das auch Eltern war und den Verlust der eigenen Tochter zu verkraften hatte. Auf der Basis seiner Tagebücher und Romane schuf Theobalt einen fiktiven Dialog, den Angela Winkler und Nikolaus Kinski eindrucksvoll auf die Bühne brachten, musikalisch begleitet wurden sie von Valérie Barki und Margaux Kier, Wolfgang Schmidtke und Roman Babik.

 

20 Zeichnungen von Else Lasker Schüler sowie weitere Bilder von Künstlern die in Südfrankreich datiert waren, präsentierte das Zentrum für verfolgte Künste, Solingen, in Frankreich. Kuratorin Birte Fritsch führte in die Ausstellung „Trauma Transit“ ein. Die meist expressiven Drucke halten die Ängste und Alltagserfahrungen der vom Vichy-Regime Internierten fest. Fritsch stellte die Arbeiten in ihrem Vortrag in den Kontext der damaligen Situation.

 

Theaterstück über eine deutsch-französische Dichterliebe

Ihre „Hebräischen Balladen“ schrieb Else Lasker-Schüler 1914. Ausdruck ihrer Auseinandersetzung mit den Figuren des Alten Testaments, die dem Antisemitismus in Deutschland eine historische Reflexionsfläche gab. Figuren wie  ihr Prinz Yussuf spiegeln die von ihr selbst erlebte Unterdrückung, erklärt Bontrup. Diese Scheinidentität stehe für ihre Überlebensstrategie.

 

Beim Forum wurden die Balladen in Deutsch und Französisch vorgetragen – von Margaux Kier und Chrystel Guillebeaud, die von Wolfgang Schmidtke musikalisch begleitet wurden. Die eigens erstellte Übersetzung „Ballades Hébraîques“ von Denise Toulouse fand auch Eingang in einen illustrierte Ausgabe, die das Pariser Centre Pompidou erwarb und nun zeigt.

 

Eine weitere Uraufführung trug Bontrup selbst zum Forum  bei. Mit seinem Live-Hörspiel „Der Schwierige Tod“ setzt sich mit der Freundschaft von Klaus Mann und René Crevel auseinander. Die beiden waren überdies durch ihre Homosexualität in einer Zeit verbunden, in der dies in Deutschland ein absolutes Tabuthema war. Beider Selbstmord sei eine Revolte gegen die Situation gewesen, in der sie sich befanden, sagt Bontrup.

 

Der Literaturwissenschaftler setzte die unglückliche deutsch-französische Dichterliebe in ein musikalisch-filmisches Stück um: Bernd Hahn (René Crevel) und Bernd Kuschmann (Klaus Mann) erzählten aus der Sicht älterer Herren, ihnen zur Seite Julia Wolff und Margaux Kier. Musikalisch unterstützt wurden sie durch Roman Babik, Wolfgang Schmidtke und Matthias Haus. Gregor Eisenmann trug filmische Projektionen bei, die er zum Teil erst vor Ort geschaffen hatte. Eine „perfekte Verschmelzung von Schauspiel Film und Musik“, schwärmen Bontrup und kümmert sich bereits um weitere Aufführung der Produktion im Wuppertaler Theater am Engelsgarten, im Rahmen des Landes-Kulturaustauschprojektes „Weimarer Dreieck“, beim Institut Francais und beim Goethe Institut.

 

Für den weiteren Austausch mit Sanary-sur-Mer sei bereits sein multimediales Stück der „Blaue Reiter ist gefallen“ im Gespräch, das vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs und der deutsch-französischen Erzfeindschaft spielt. Zuvor aber wollen Wuppertaler und „Sanaresen“ gemeinsam das erlebte Forum reflektieren.

 

Forderung

 Das 23. Else Lasker-Schüler Forum umfasste rund 20 Veranstaltungen. Der deutsche Botschafter in Paris, Hans-Dieter Lucas, besuchte als erster Vertreter der Bundesrepublik Sanary.  In einer Diskussion mit den Autorinnen Anne Weber und Cecile Wajsbrot, mit Frido Mann und dem Entertainer Ron Williams wurde gefordert, an Schulen das Thema Rassismus und Antisemitismus zu behandeln - passend zum ersten Kulturforum einer deutschen Literaturgesellschaft in Frankreich 

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Hajo Jahn mit Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet

Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen: Hajo Jahn gebührt für seinen jahrzehntelangen Einsatz gegen die Verfolgung und Vertreibung von Künstlerinnen und Künstlern höchste Anerkennung

Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen und Hajo Jahn, Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft
Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen und Hajo Jahn, Vorsitzender der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft

Der ehemalige Journalist des Westdeutschen Rundfunk und Gründer der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft e. V., Hajo Jahn, ist am 14. Juni 2021 für sein jahrzehntelanges ehrenamtliches Wirken im interkulturellen Bereich und für seinen großen Einsatz für die Erinnerungskultur mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen händigte dem 80-jährigen das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland im Ministerium für Kultur und Wissenschaft aus. Der Bundesverdienstorden ist die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland für besondere Leistungen im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, geistigen oder ehrenamtlichen Bereich.

 

Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen: „Als Mahner gegen die Verfolgung und Vertreibung von Künstlerinnen und Künstlern bezieht Hajo Jahn seit vielen Jahren gegen die Verfemung von Kunst und Kultur durch willkürliche Herrschaftssysteme Stellung. Mit Initiativen wie der Else Lasker-Schüler Gesellschaft – einer der aktivsten Literaturgesellschaften Deutschlands – und dem Zentrum für verfolgte Künste hat er sich tatkräftig der Aufklärung nationalsozialistischen Unrechts verschrieben. Er fordert nicht nur ein, dieses Unrecht aufzuarbeiten, sondern trägt durch sein vielfältiges ehrenamtliches Engagement unter anderem in Form von Else Lasker-Schüler-Foren, Ausstellungen, Konzerten und Vorträgen selbst zu dieser Aufarbeitung bei. Für diese besondere Leistung gebührt Hajo Jahn höchste Anerkennung.“

Zunächst als Bergmann, später als Volontär und Lokalredakteur bei der Westfälischen Rundschau in Dortmund sowie freier Journalist für die ARD tätig, begann Hajo Jahn ab 1970, als Redakteur und Leiter das Bergische Studio des WDR in Wuppertal aufzubauen. Dort arbeitete er zugleich als Reporter und Moderator diverser Landessendungen bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2000.

 

1990 gründete er die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft e. V. in Wuppertal, eine internationale politische Literaturvereinigung mit rund 1.200 Mitgliedern. Ziel der Einrichtung ist es, das literarische und künstlerische Werk der in Wuppertal geborenen, im Dritten Reich verfolgten und emigrierten deutsch-jüdischen Schriftstellerin wachzuhalten auf Grundlage einer zeitgemäßen Erinnerungskultur, die auch Herausforderungen der Gegenwart wie Flucht, Immigration und Verfolgung von Künstlern einbezieht. 1994 gründete Jahn die Stiftung „Verbrannte und verbannte Dichter – für ein Zentrum der verfolgten Künste“, um an die vom Nationalsozialismus und anderen autoritären Regimen verfolgten Künstler und Intellektuellen zu erinnern, aber auch gegen aktuellen Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus zu arbeiten: „Weil es Verfolgung von Künstlern, Journalisten und Schriftstellern gibt, so lange Diktaturen bestehen. Deshalb muss der Blick zurück auch ein Blick nach vorn sein, um junge Menschen aufzuklären“, so Jahn.  Mit Hilfe von Unterstützern und des Bundes hat er zudem die Internetplattformen „Exil-Club“ und „Exil-Archiv“ eingerichtet.


Der Journalist Jahn, der mehrere Bücher zu seinen Themen herausgegeben hat, darunter „Gewissen gegen Gewalt“, konnte mit Hilfe öffentlicher Stiftungen des Landes und des Bundes Originalzeichnungen von Else Lasker-Schüler erwerben, die 1937 als „entartet“ aus der Berliner Nationalgalerie entfernt worden waren. Die von ihm gegründete Else Lasker-Schüler-Stiftung erwarb die Exil-Literatur-Sammlung Jürgen Serke für das von ihm initiierte und in Solingen mit Hilfe des Landschaftsverbandes Rheinland und der Stadt Solingen realisierte „Zentrum für verfolgte Künste“.

Westdeutsche Zeitung, Freitag, 13. November 2020